
ARTISCHOCKE
Cynara scolymus L.
WESEN: Selbstbeschränkung und Ausschweifung
Wesen und Signatur
Signatur
«Die Artischockenpflanze entwickelt eine massige Gestalt. Ihre Blätter sind weit ausladend, doppelt fiederschnittig geteilt und mit deutlichen Abständen zwischen den einzelnen Abschnitten. Der üppig vergrösserte Blütenkorb wird ausserordentlich schwer, und die zahlreichen Hüllblätter verschaffen ihm einen festen äusserlichen Halt. Sie sind innen fleischig und dienen – kurz vor der Blüte geerntet – als wertvolles Gemüse. Die Pflanze geht in jeder Hinsicht extrem in die Fülle und strotzt vor Saftigkeit. Das Blatt ist wässrig und von geringer Festigkeit. Ein Blattstück kann mühelos zwischen den Fingern zerrieben werden, es besitzt keine innere Struktur, die sich der Auflösung widersetzen könnte. Wenn man die Blätter bei der Ernte oder Verarbeitung kräftig anfasst, überziehen sich die Hände mit einer wachsartigen, zusammenziehenden Substanz. Es handelt sich dabei um die bitter schmeckenden Sesquiterpenlactone, die an der Oberfläche der Blattoberseite von Drüsenhaaren gebildet werden. Bei Regen können die Bitterstoffe leicht abgewaschen werden, da sie nur an der Blattaussenseite lokalisiert sind. Diese Stoffe wirken zusammenziehend und stehen somit in der Polarität zur auffälligen Üppigkeit der Pflanze. Die wachsartigen Bitterstoffe scheinen die Pflanze wie eine Schale von aussen zu umgeben und zu strukturieren. Die Artischocke bringt überschiessende Lebenskräfte zum Ausdruck, die von aussen gedämpft und strukturiert werden. Dieses begrenzende Prinzip, das von aussen auf das Wässrige im Innern der Pflanze wirkt, kommt in den Blüten besonders stark zum Ausdruck. Masslosigkeit erkennen wir in der sehr grossen und schweren Artischockenblüte, die aber durch den Mantel der zähen Hüllblätter begrenzt wird. Im Knospenstadium ist die Artischocke von den Hüllblättern vollständig umschlossen, und im Blütestadium bildet der Mantel nur eine geringe Öffnung als Raum für die feinen violetten Blütenhaare. Das Wesen der Pflanze, das eine strukturierende und formbildende Kraft hat, ist bei der Artischocke nicht bis ins Innere vorgedrungen. Es festigt und begrenzt den Körper vor allem von aussen, wie es im Tierreich z. B. bei einer Schnecke der Fall ist. In diesem Sinne ist die Artischocke die Schnecke unter den Pflanzen. Da sich das Wesen der Artischocke nicht so sehr mit der Materie verbunden hat, ist sein Beitrag als Wirkprinzip geringer als bei anderen Pflanzen. Andrerseits macht dieses eher schwach durchdringende Wesen die Artischocke gerade zu einem idealen Heilmittel bei Arteriosklerose. Bei dieser Krankheit erkennen wir ein Schwinden jugendlicher Lebenskräfte, worauf die strukturierenden Wesenskräfte des Menschen bis ins Innerste, bis in die Gefässe kristallisierend und verhärtend wirken. Man kann die Zubereitungen aus Artischockenblättern – regelmässig eingenommen – zu den besten Mitteln zur Vorbeugung gegen Arteriosklerose und zur Verzögerung von Alterungsprozessen bezeichnen.»
Wesen
«Das Wesen der Artischocke äußert sich in völlig gegensätzlichen Tendenzen. Einerseits bringt die Pflanze Üppigkeit und Fülle hervor, andererseits enthält sie ein Prinzip, das dieser Üppigkeit entgegenwirkt. In der Artischocke kommt das Gleichgewicht zwischen Ausschweifung und Selbstbeschränkung zum Ausdruck. Das Wesen dieser Pflanze unterstützt den Menschen im Bestreben, einen Ausgleich zwischen Maßlosigkeit und Verzicht zu finden. In der Annäherung an dieses Gleichgewicht können die Gedanken etwas von ihrer Schwere und Erdgerichtetheit verlieren und auf Höheres gerichtet werden. Durch ihre Bitterstoffe stärkt Cynara scolymus die Verdauungsvorgänge und stimuliert insbesondere die wirkungsvolle Umsetzung von Fetten.»
Botanik
Cynara scolymus L., die Artischocke, ist eine bis 2 m hohe distelartige Staude aus der Familie der Korbblütengewächse (Asteraceae). Aus ihrer Blattrosette treibt die Pflanze lange, oft unverzweigte Stängel, an deren Ende während des Sommers die kieferzapfen-ähnlichen Blütenstände gebildet werden. Die sehr massigen und grossen Laubblätter der Artischocke sind ein- bis zweifach fiederteilig, bisweilen sind sie auch ungeteilt. Sie werden bis 80 cm lang und 40 cm breit, sind an der Oberseite hellgrün und können vor allem im Jugendstadium weisslich behaart sein. Der Blattstiel ist sehr fleischig und geradezu wässrig. In den Monaten Juni bis Juli blüht die Artischocke mit den typischen, bis 15 cm grossen Blütenständen. Das, was wir als Artischocken-Blüte aus der Gemüseabteilung kennen, ist noch gar nicht die Blüte, sondern der nicht erblühte Blütenstand. Dieser entsteht in seiner charakteristischen Form durch einen fleischigen Blütenboden, der von einem stark ausgeprägten, eiförmigen Hüllkelch umschlossen wird. Die Blätter des Hüllkelches sind dachziegelartig angeordnet und weisen am Grunde ebenfalls fleischige Bereiche auf. Die röhrenförmigen und meist blauen Blüten erscheinen dann am Kopf des Blütenstandes. Die ganze Pflanze hat einen eigentümlichen, wachsartigen Geruch.
Verwendung
Die bitter schmeckende Artischocke ist fester Bestandteil der mediterranen Küche. Verzehrt werden die saftigen Hüllblätter und der fleischige Blütenboden. Eine weitere beliebte Form der Anwendung sind Frischpflanzenpresssäfte. Im pharmazeutischen Bereich werden Trockenextrakte und Tinkturen seit Jahrzehnten bei Verdauungsstörungen, chronische Leber-Galle-Störungen und Fettstoffwechselstörungen eingesetzt. Aufgrund des bitteren Geschmacks haben Artischockenpräparate eine anregende Wirkung auf die Produktion und den Abfluss der Galle (Cholerese) in den Verdauungstrakt. Dies wirkt sich insbesondere günstig auf die Fettverdauung aus und dyspeptische Beschwerden, wie Völlegefühl und Blähungen, werden gemindert. Daneben zählen arzneiliche Zubereitungen von Cynara scolymus L. zu wichtigsten pflanzlichen Heilmitteln bei Lipidstoffwechselstörungen, wie Hyperlipidämie. Zusammen mit den antioxidativen Eigenschaften erklärt dies auch den Einsatz der Artischocke im Bereich der präventiven Behandlung von Arteriosklerose.
Inhaltsstoffe
Cynara scolymus L. enthält pflanzliche Säuren wie z.B. Chlorogensäure, Flavonoide (Glykoside des Luteolins) und einen nicht zu vernachlässigenden Anteil an Sesquiterpenlactonen. Die Inhaltsstoffe der Artischocke haben einen leicht salzigen, kräftig bitteren Geschmack.
Referenzen
- Hänsel, R. & Steinegger, E. Hänsel / Sticher Pharmakognosie Phytopharmazie. (Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft GmbH, Stuttgart, Deutschland, 2015).
- Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC). European Union herbal monograph on Cynara cardunculus L. (syn. Cynara scolymus L.), folium. EMA/HMPC/194014/2017 (2018).
- Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC). Assessment report on Cynara cardunculus L. (syn. Cynara scolymus L.), folium. EMA/HMPC/194013/2017 (2018).
- BGA/BfArM (Kommission E). Cynarae folium (Artischockenblätter). Bundesanzeiger 122, (1988).
- BGA/BfArM (Kommission D). Cynara Scolymus. Bundesanzeiger 109 a, (1987).
- Kalbermatten, R. & Kalbermatten, H. Pflanzliche Urtinkturen. (AT Verlag, Aarau, Schweiz, 2014).
- Kalbermatten, R. Wesen und Signatur der Heilpflanzen. (AT Verlag, Aarau, Schweiz, 2016).
Bilder: Ceres Heilmittel AG, Kesswil.