



SCHAFGARBE
Achillea millefolium L.
WESEN: Unterscheidungsvermögen, Erkenntnis des Wesentlichen
Wesen und Signatur
Signatur
«Die Schafgarbe hat bei Heilpflanzenkundigen oft Befremden ausgelöst, da sie sich nicht eindeutig festlegen lässt. So kann die Schafgarbe sowohl Nasenbluten stillen als auch erzeugen, oder sie kann sowohl Krämpfe lösen als auch verursachen. Gerade im westlichen Kulturkreis, wo man sich mit der Polarität allen Seins oft schwer tut und eindeutige Verhältnisse anstrebt, fällt es nicht leicht, die wahre Grösse der Schafgarbe zu erfassen. Die Polarisierung ist in der Signatur der Schafgarbe deutlich erkennbar. Um dies nachvollziehen zu können, müssen wir uns mit dem Bauprinzip der Korbblütler beschäftigen, zu denen die Schafgarbe gehört. Die Korbblütler haben, wie der Name sagt, komplexe, zu Körben zusammengefasste Blütenstände. Die Sonnenblume beispielsweise ist keine einzelne Blüte, sondern ein Blütenstand, bestehend aus Hunderten von Blüten. Jedes gelbe Blütenblatt an der Peripherie oder jeder Sonnenblumenkern im Inneren des Blütenstandes stammt aus einer anderen Blüte. Der Blütenstand wird äusserlich zusammengehalten von einem gemeinsamen Blütenboden und einer Hülle aus meist grünen Hüllblättern.
Bei oberflächlicher Betrachtung der Schafgarbe könnte man meinen, einen Vertreter aus der Familie der Doldengewächse vor sich zu haben. Die einzelnen «Blüten» bilden einen doldenförmigen Blütenstand. Für Korbblütler ist es einzigartig, dass die an und für sich schon komplexen Blütenstände – die Körbchen – nochmals zu einem doldigen Gesamtkomplex zusammengefasst werden. Im Gegensatz zu den Doldengewächsen ist der Blütenstand bei der Schafgarbe aber nicht regenschirmartig gewölbt, sondern ziemlich abgeflacht, so dass die Pflanze beim Anblick von der Seite wie ein grosses T aussieht. Wir stellen fest, dass die Blütenstände (Körbchen), vollständig dem Bereich von Stengel und Blatt entzogen, zu einer Ebene am Ende der Pflanze erhoben sind. Wir finden somit nicht die für die Pflanzenfamilie typische, harmonische Eingliederung der Blütenstände in die Gesamtpflanze, sondern eine Trennung, eine Polarisierung in einen Stengel- und Blattbereich einerseits und einen Blütenbereich andererseits. Der Charakter der Trennung wird vor allem auch durch die Tatsache verstärkt, dass der Blütenstand eine Ebene bildet, die wie auf dem Stengel aufgesetzt erscheint. Die Blütenfarbe ist meistens weiss, doch gibt es in der Natur immer auch Exemplare mit rosa Blüten. Es handelt sich dabei nicht um eine andere Art, sondern zeigt, dass die Schafgarbe nicht auf eine spezifische Farbe festgelegt ist. Gehen wir weiter und betrachten den Stengel und die Blätter, so finden wir, dass beides optisch nicht zusammenpasst. Die hellgrünen Stengel sind grob und hölzern – lässt man getrocknete Stengelstücke auf einen Tisch fallen, ertönt ein klackendes Geräusch (im chinesischen I Ging werden Schafgarbenstengel verwendet) –, während die Blätter sehr weich, blaugrün und äusserst fein zweifach fiederteilig sind. Bei der Schafgarbe findet man nicht das sonst übliche harmonische Zusammenspiel zwischen Stengel und Blättern, bei dem sich die Blätter nach und nach aus dem Stengel entwickeln. Die Blätter wirken wie aufgesetzt und dem Stengel fremd. Beschäftigen wir uns näher mit den Blättern, die für die Art namensgebend sind. «Millefolium» bedeutet tausend Blätter und nimmt Bezug auf die vielfache Teilung der einzelnen Blätter. Obwohl es nicht gerade tausend Blattteile sind, ist das Ausmass der Differenzierung eines Schafgarbenblatts aussergewöhnlich. Die Differenziertheit geht immer einher mit der Unterscheidung der Gegensätze. Je mehr gegensätzliche Aspekte einer Sache wir bewusst wahrnehmen, desto differenzierter und wahrer ist unsere Erkenntnis. Insofern sind Polarisierung und Differenzierung sich zyklisch wiederholende Stufen im Erkenntnisprozess. Beides finden wir in der Schafgarbe. Auch bei Duft und Aroma können wir zwei gegensätzliche Komponenten wahrnehmen. Die Schafgarbe schmeckt einerseits bitter und wirkt damit zusammenziehend, konkretisierend, und andererseits hat sie ein typisches – nicht allzu starkes – Aroma, das ich am ehesten mit schwebend umschreiben möchte. Immer wenn ich die Schafgarbe teste, habe ich den Eindruck, dass ein Teil des Aromas hinweg in ferne Welten führen möchte, während der andere Teil sehr konkret auf das Hier und Jetzt gerichtet ist. Etwas vom Wesentlichsten bei der Schafgarbe ist ihr besonderes Leuchten. Betrachte ich blühende Schafgarben am schattigen Waldrand, so glaube ich ein sanftes Leuchten ihrer Blüten wahrzunehmen. Da die Blüten äusserlich, physikalisch kein Licht ausstrahlen, handelt es sich dabei um die intuitive Wahrnehmung eines ätherischen Lichts. Es ist gewissermassen ein Licht der Natur, um die Polaritäten zu erkennen. Es gibt ein deutliches Zeichen für dieses innere Leuchten in der äusseren Gestalt. Bei den Schafgarbenblüten sind, im Gegensatz zu anderen Korbblütern, auch die inneren Röhrenblüten weiss gefärbt wie die randständigen Zungenblüten. Da die Körbchen, wie oben erwähnt, sehr dicht zusammen stehen, wirkt der Blütenstand wie einedurchgehend weisse (oder rosa) Fläche. Somit erscheint der Blütenstand viel heller, er reflektiert mehr Licht, als es bei einer «normalen» Blütenfärbung der Fall wäre.»
Wesen
«Die Schafgarbe symbolisiert das Vermögen, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden. Dazu müssen nicht nur die gegensätzlichen Aspekte einer Sache erkannt sondern auch ihr Zusammenhang gesehen werden. Nur wenn in der Widersprüchlichkeit der Tatsachen, Erfahrungen und Aufgaben der gemeinsame Kern erkannt wird, der die Vielfalt zu einem Ganzen verbindet, gelingt es, die Prioritäten richtig zu setzen. Ohne diese Fähigkeit besteht die Tendenz zu polarisieren und dabei von einem Extrem ins andere zu fallen. Die Schafgarbe steht für das Vermögen, aus den polaren Aspekten des Lebens die richtige Einsicht zu erlangen, die zur Integration der Gegensätze führt. So schärft sie das Unterscheidungsvermögen bei den Entscheidungsprozessen und kann auf diese Weise bei der persönlichen, richtigen Wahl des nächsten Schrittes klärend und unterstützend wirken. Die Pflanze unterstützt sowohl den Menschen mit einem schwachen Unterscheidungsvermögen als auch denjenigen, der immer rasch und sehr entschieden zu einer bestimmten Meinung (Vorurteil) gelangt oder schnell heftige Kritik übt. Denn beides ist ein Zeichen dafür, dass es der inneren Einsichtsfähigkeit am nötigen Licht fehlt, das über die Widersprüchlichkeit der Polarität hinaus führt. Auf der körperlichen Ebene kann sich dieser Mangel u.a. dadurch äußern, dass gewissen Beschwerden keine eindeutigen Auslöser zugrunde liegen: So kann ein bestimmtes Nahrungsmittel einmal eine Magenkrise auslösen und ein anderes Mal problemlos vertragen werden.»
Botanik
Achillea millefolium L., die Gewöhnliche Schafgarbe, ist eine ausdauernde Pflanze mit einem aromatischen Duft. Zunächst bildet sie rosettenartig angeordnete Blätter. Ihre sich später entwickelnden Stängel sind sehr fest und tragen ebenfalls Blätter. Alle Blätter der Pflanze sind tief fiederschnittig und dadurch stark differenziert. Dies kommt auch im Namen «millefolium», tausendblättrig, zum Ausdruck. Die Blätter sind sehr fein und weich, ganz im Gegensatz zum fast hölzernen Stängel. Ab etwa Juli beginnt die Pflanze mit ihrer Blüte. Weit oben an der Spitze der Schafgarbe, stehen die meist weissen, gelegentlich auch rosafarbenen Blüten in schirmförmigen Blütenständen zusammen. Auf den ersten Blick könnte man die Pflanze aufgrund des Blütenstandes, für einen Vertreter der Doldenblütler halten. Betrachtet man den Blütenstand aber genauer, so fällt auf, dass die Schafgarbe zu den Korbblütlern gehört. Die Vertreter dieser Familie nehmen die Einzelblüten bereits zu schönen Blütenständen, den Korbblüten, zusammen, wie wir es etwa von dem Sonnenhut oder dem Löwenzahn kennen. Doch die Schafgarbe fasst hierüber hinaus diese Korbblüten nochmals zusammen und bildet somit mit ihren schirmförmigen Blütenständen eine Art zusätzliche Ebene aus.
Verwendung
Die Schafgarbe, Achillea millefolium L., ist bereits im Arzneischatz der heiligen Hildegard von Bingen enthalten, die sie innerlich und äusserlich bei Wunden, sowie bei Beschwerden der Augen und Dreitagefieber einsetzte. Die Anwendungsgebiete sind sowohl in der traditionellen als auch in der neueren Literatur der verschiedenen Therapierichtungen, zahlreich und überschneidend. Ein Schwerpunkt liegt in der Pflanzenheilkunde im Bereich gastrointestinaler Beschwerden, wo Achillea millefolium L. durch ihre spasmolytischen und choleretischen Wirkungen helfen kann. Interessanterweise finden wir in der Fachliteratur den Hinweis, dass die Schafgarbe als Ersatz für die Kamille genutzt werden kann, da die Anwendungsgebiete beider Heilpflanzen so große Überschneidungen aufweisen. Die Homöopathie setzt die Schafgarbe unter anderem bei Wunden und Blutungen ein. Insgesamt kann die Schafgarbe als blutstillendes Mittel angesehen werden, wobei Ihr Einsatz insbesondere bei hellroten Blutungen der Lungen, des Darms, der Gebärmutter, der Blase und der Nase erfolgt. Ein weiteres Anwendungsgebiet der Schafgarbe liegt im Bereich der Frauenheilkunde: krampfartige Menstruationsbeschwerden und andere typische Beschwerdebilder können unterstützend behandelt werden.
Inhaltsstoffe
Im ätherischen Öl der Schafgarbe, Achillea millefolium L., konnten über 100 Einzelbestandteile identifiziert werden. Daneben finden sich z. T. bittere Sesquiterpenlactone, insbesondere Guajanolide. Weitere Inhaltsstoffgruppen sind Polyacetylene, Flavonoide und Phenolcarbonsäuren. Der Gehalt an Proazulen schwankt je nach Unterart und wird in manchen Arzneibüchern als Qualitätskriterium für diese Arzneipflanze definiert.
Referenzen
- Hänsel, R. & Steinegger, E. Hänsel / Sticher Pharmakognosie Phytopharmazie. (Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft GmbH, Stuttgart, Deutschland, 2015).
- Wichtl, M. et al. Teedrogen und Phytopharmaka. (Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft GmbH, Stuttgart, Deutschland, 1997).
- BGA/BfArM (Kommission E). Achillea millefolium (Schafgarbe). Bundesanzeiger 22a, (1990).
- Madaus, G. MADAUS LEHRBUCH DER BIOLOGISCHEN HEILMITTEL BAND 1-11. (mediamed Verlag, Ravensburg, 1990).
- BGA/BfArM (Kommission D). Achillea millefolium. Bundesanzeiger 29 a, (1986).
- Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC). Community herbal monograph on Achillea millefolium L., flos. EMA/HMPC/143949/2010 (2011).
- Riha, O. Hildegard von Bingen – Werke- Band V- Heilsame Schöpfung – Die natürliche Wirkkraft der Dinge – Physica – Vollständig neu übersetzt und eingeleitet. (Beuroner Kunstverlag (Abtei St. Hildegard, Rüdesheim/Eibingen), 2016).
- Kalbermatten R, Kalbermatten H. Pflanzliche Urtinkturen. 7th ed. AT Verlag, Aarau, Schweiz; 2014.
- Kalbermatten R. Wesen Und Signatur Der Heilpflanzen. 9th ed. AT Verlag, Aarau, Schweiz; 2016.
Bilder: Ceres Heilmittel AG, Kesswil