SPITZWEGERICH

Plantago lanceoalata L.

WESEN: Löschen, befeuchten, kühlen

Wesen und Signatur

Signatur

 «Der Spitzwegerich hat – wie der botanische Artname lanceolata sagt – lanzettliche Blätter, die durch fünf bis sieben parallele, auf der Unterseite stark hervortretende Blattnerven längs gegliedert sind. Die Blätter bilden eine bodenständige Rosette. Die Nerven sind zäh und können aus einem angerissenen Blatt wie Fäden teilweise herausgezogen werden. 

Wenn man das Blatt mit seinen Längsrippen betrachtet, fällt die Ähnlichkeit mit einem freigelegten Muskelstrang auf. Oberflächlich gesehen könnte man davon eine Wirkung auf die Muskeln ableiten, was aber nicht zutrifft. Die wahre Bedeutung dieses Zeichens kann nur verstanden werden, wenn man den Spitzwegerich nicht mit dem Muskel an sich, sondern mit dessen Wesen in Verbindung bringt. Die Muskeln ermöglichen Tier und Mensch die Fortbewegung und erheben sie über die Standortgebundenheit der Pflanzen. Sie erlauben die aktiven Bewegungen innerhalb des Körpers, wie die Atmung, den Herzschlag, die Darmperistaltik. Die Muskeln sind die Instrumente der höheren Daseinsebene, durch die sich Mensch und Tier von der Pflanze unterscheiden. Es ist die Ebene der Triebe und Emotionen. Im letzteren Begriff steckt das lateinische motio, Bewegung. Emotionen sind die Kräfte, die uns bewegen, und die Muskeln sind ihre Instrumente. Mit Hilfe der Muskeln können sich die Emotionen in unserem Körper ausdrücken. Der Spitzwegerich weist durch den muskelartigen Charakter der Blätter eine wesenhafte Beziehung zu stark bewegender Emotionalität auf. Stark bewegend unter anderem deshalb, weil sich die Blätter sehr dynamisch, wie Flammen aus der grundständigen Rosette erheben. Es ist einleuchtend, dass eine enge Wechselwirkung zwischen der emotionalen Ebene und den Lebenskräften besteht. Ein harmonisches, von ruhigen Rhythmen geprägtes emotionales Leben ohne extreme Gefühlsausbrüche ist der beste Garant für die Förderung der Lebenskräfte und damit der Gesundheit, während eine impulsive, heftige Emotionalität, die sich der massvollen Kontrolle durch die Vernunft entzieht, an den Lebenskräften zehrt und die Gesundheit ruiniert. Der Spitzwegerich ist nun ein Heilmittel bei Schwächezuständen, die durch die erwähnte heftige Emotionalität hervorgerufen werden. Solche Zustände sind dadurch gekennzeichnet, dass die bewegende Kraft der Emotionen nicht auf eine zielgerichtete Aktivität gerichtet werden kann, sondern sich in sich selbst erschöpft. Es fehlt gewissermassen die Durchlässigkeit für die Informationsübertragung an der Grenzfläche zwischen den Emotionen – dem Luftelement – und den Lebenskräften – dem Wasserelement. Der Spitzwegerich stellt diese fehlende Durchlässigkeit mit Hilfe seiner Schleimstoffe wieder her. Schleimstoffe sind Substanzen, die eine schützende und vermittelnde Funktion an den Grenzflächen der Organismen ausüben. Der Spitzwegerich ist ganz durchdrungen von Schleimstoffen. Blätter, Wurzeln und Samen der Pflanze enthalten Schleimstoffe. Auf der körperlichen Ebene sind sie für die reizmildernde Wirkung bei Bronchialkatarrh verantwortlich. 

Es gibt noch weitere Zeichen, die den Bezug zur Schwächung von Lebenskräften anzeigen. In den Blättern ist Aucubin enthalten, das sich unter der Einwirkung eines Enzyms aus der Pflanze in einen antimikrobiell wirksamen Stoff verwandelt. Frisch gepresster Spitzwegerichsaft enthält einen hohen Gehalt an konservierenden Stoffen; indem das natürliche Aufkeimen von Mikroorganismen abgetötet wird, wird der Spitzwegerichsaft zeitweise dem Lebenskreislauf entzogen. Auch der pilzartige Geruch des Safts oder der wesenhaften Urtinktur weist in dieselbe Richtung, denn Pilze verdanken ihr Dasein dem Abbau anderer Lebensorganismen. 

Übertragen auf das Wesen des Spitzwegerichs heisst dies, dass abbauende Kräfte aus der emotionalen Daseinsebene die Lebenskräfte zurückgedrängt haben. Dieser Befund wird auch aus einer weiteren Beobachtung deutlich, zu deren Verständnis etwas ausgeholt werden muss. Jeder Forscher, der viele Pflanzen und Tiere mit einem Stereomikroskop oder allenfalls mit einer stark vergrössernden botanischen Lupe untersucht hat, macht die Feststellung, dass zwischen pflanzlichen und tierischen Mikrostrukturen ein fundamentaler Unterschied in der Ästhetik besteht. Pflanzenteile sind bis ins kleinste Detail strukturiert und harmonisch gestaltet. Jeder Betrachter empfindet die Mikrostrukturen von Pflanzen (in 10- bis 100facher Vergrösserung) als wunderbar gestaltet und sehr schön. Jedes Pflanzenteilchen erweist sich als eine Harmonie im Kleinen und erfüllt unsere Seele mit Begeisterung und Freude. 

Wie anders sind die Mikrostrukturen tierischer Organismen. Diesen fehlt, abgesehen von wenigen Ausnahmen (z. B. Schmetterlingsflügel und Vogelfedern), die harmonische Strukturierung bis ins Detail, und ihr Anblick bei mittlerer Vergrösserung ruft beim Betrachter, der nicht nur rein wissenschaftlich an sein Objekt herangeht, oft ein mehr oder weniger grosses Unbehagen – in vielen Fällen sogar Ekel – hervor. Woher kommt dieser grosse Unterschied zwischen pflanzlichen und tierischen Strukturen, warum sind tierische Organismen nicht bis in die kleinsten Strukturen harmonisch gestaltet? Welche Kräfte sind es, die die kleinsten Strukturen gestalten? Es sind vor allem die Lebenskräfte, diejenigen Kräfte also, die in den Pflanzen am stärksten wirken. Der Übergang von pflanzlichem zu tierischem Leben wird nur dadurch ermöglicht, dass ein Teil der Lebenskräfte durch die neu hinzukommenden emotionalen Kräfte zurückgedrängt wird. Die mikrostrukturierenden Lebenskräfte müssen also abgeschwächt werden, um überhaupt die Beweglichkeit des Tieres zu ermöglichen, deshalb erscheinen uns tierische Strukturen nicht vollendet und erregen oft Gefühle der Ablehnung. Die tierischen Kräfte wirken sich erst in den grösseren Strukturen harmonisch gestaltend aus. Erst die von blossem Auge erkennbaren Formen von Tier und Mensch empfinden wir als schön. Als ich zum erstenmal den Blütenstand des Spitzwegerichs in 20facher Vergrösserung im Stereomikroskop betrachtete, erschrak ich und war sehr befremdet. Was sich mir offenbarte, war nicht die harmonische Struktur eines pflanzlichen Organismus, sondern die eines tierischen. Insbesondere die stark behaarten Griffel, wie auch die trockenhäutigen Kelch- und Kronblätter haben eher einen insektenhaften als einen pflanzlichen Charakter. Dies ist ein weiteres Zeichen dafür, dass beim Spitzwegerich Kräfte am Werk sind, die die harmonisch gestaltenden Lebenskräfte schwächen. 

Als Letztes muss noch der starke Bezug des Spitzwegerichs zur Lunge erklärt werden. Die Lunge ist das Organ, durch das wir mit der Luft verbunden sind. Das Element Luft ist nun der Ebene der Emotionen zugeordnet, so wie das Wasser Träger der Lebenskräfte ist. Dies wird nicht zuletzt daraus ersichtlich, dass man emotionale Zustände oft durch Begriffe aus der Meteorologie zum Ausdruck bringt, während man im Zusammenhang mit den Lebenskräften von Wasser zum Beispiel vom Lebensquell spricht. Lunge und Herz sind die Organe mit dem stärksten emotionalen Bezug, wobei die Lunge den direkten, stofflichen Zugang hat, da sie die Luft, die Trägerin der emotionalen Kräfte, ein- und ausatmet. Die Lunge ist das Organ, das erst mit der Geburt eine Bedeutung erlangt (mit dem ersten Schrei), durch die wir in die Luft der Welt eintreten und zu einem emotional selbständigen Wesen werden. Es ist die wesenhafte Beziehung des Spitzwegerichs zur Emotionalität an sich, die gleichzeitig auch einen organischen Bezug zur Lunge herstellt, weshalb man bei dieser Heilpflanze von einem spezifischen Lungenmittel sprechen kann.»

Wesen

«Zwischen den Fingern zerriebene Spitzwegerichblätter haben eine schleimartige Konsistenz und weisen auf einen feuchten, kühlen Charakter hin. Als Standort sucht die Pflanze hingegen eher trockene Stellen. Der Spitzwegerich trägt somit das Prinzip der Feuchtigkeit ins Trockene. Seinem Wesen nach ist der Spitzwegerich – bildlich gesprochen – ein pflanzlicher «Feuerlöscher». Er wird angezogen von überhitzten, aufflammenden Prozessen, die er zu löschen und zu kühlen vermag. Man könnte sagen, er überzieht die Brandstellen mit einer kühlenden, schleimartigen Schicht, die sich befeuchtend und schützend über die Flächen legt. Natürlich handelt es sich hierbei nicht um konkretes Feuer, sondern um entzündliche Prozesse. Plantago hat einen kühlenden und heilenden Einfluss auf entzündliche Erkrankungen der Schleimhäute der Atemwege. Die Pflanze steht in einem wesenhaften Bezug zu den Amphibien, deren Haut immer feucht sein muss. Genauso wie diese Tiere an der Grenze zwischen Wasser und Luft leben, vermittelt der Spitzwegerich zwischen dem Wässrigen der Lebenskräfte und dem Luftigen des Lebensatems. Hierbei ist die Lunge das vermittelnde Organ, dessen Funktion der Spitzwegerich zu unterstützen vermag. Aufflammende Prozesse können auch im Seelischen in einer eruptiven Emotionalität gesehen werden. Der dem Spitzwegerich entsprechende Konstitutionstyp hat intensive Gefühle. Er ist ein Hitzkopf und fühlt sich schnell angegriffen. Schon das kleinste Fünkchen kann ein unkontrollierbares Feuer entfachen. Er explodiert und rastet aus, um später erschöpft nach Atem zu ringen. Solche Menschen können zu Entzündungen der Haut und der Schleimhäute, zu Atemproblemen und chronischer Bronchitis neigen. Der Spitzwegerich wirkt sowohl auf der seelischen als auch auf der körperlichen Ebene, indem er die überschießende, feurige Emotionalität kühlt und die entzündete Schleimhaut mit einer schützenden, antiseptischen Schicht überzieht. Dadurch lindert er die Reizzustände und begünstigt die Heilung.»

Botanik

Plantago lanceoalata L., der Spitzwegerich ist eine Pflanze, die weltweit vorkommt. Aus ihrer Pfahlwurzel treibt sie ihre lanzettlichen, wenig differenzierten, Blätter mit den parallel stehenden Nerven. Diese Parallelnervigkeit stellt eine Besonderheit dar. Die meisten zweikeimblättrigen Pflanzen, zu denen auch der Spitzwegerich gehört, weisen netznervige Blätter auf. Die, bis 30 cm lang werdenden, Blätter stehen in einer grundständigen Rosette zusammen. Aus dieser Rosette entspringt der kantige Ährenstiel, welcher bis zu 50 cm hoch wird und der den Blütenstand weit über den Blattbereich hinaushebt. Die Blüten-Ähre an seiner Spitze blüht kontinuierlich von unten nach oben ab. Die unscheinbaren Blüten, welche in dieser Ähre zusammenstehen, zeigen sich eigentlich nur durch die weisslichen Staubbeutel, die zur Reife weit aus den Blüten heraushängen. Ihnen fehlt jegliche Ausstrahlung, die man vielleicht von einer pflanzlichen Blüte erwarten würde. Vor allem die sich später bildenden Samen sind sehr schleimhaltig, aber auch die Blätter enthalten Schleimstoffe. Die Blätter der Pflanze entwickeln beim Zerreiben einen typischen Pilzgeruch.

Verwendung

Der weitverbreitete Spitzwegerich blickt in der Naturheilkunde auf eine lange Anwendungstradition im Bereich der Erkältungskrankheiten und Husten, Lungen- und Bronchialleiden zurück. Die entzündungshemmende und reizmildernde Wirkung des Spitzwegerich macht man sich zu Nutze bei innerlichen und äusserlichen entzündlichen Beschwerden der Schleimhäute und der Haut und auch bei chronischen Lungenerkrankungen.

Inhaltsstoffe

Typische Inhaltsstoffe für den Spitzwegerich, Plantago lanceolata L., sind (Schleim-)Polysaccharide und Iridoidglykoside. Des Weiteren findet man phenolische Verbindungen, wie Flavonoide und Phenolcarbonsäuren, sowie Gerbstoffe. 

Referenzen

  • Hänsel, R. & Steinegger, E. Hänsel / Sticher Pharmakognosie Phytopharmazie. (Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft GmbH, Stuttgart, Deutschland, 2015).
  • Wichtl, M. et al. Teedrogen und Phytopharmaka. (Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft GmbH, Stuttgart, Deutschland, 1997).
  • Madaus, G. MADAUS LEHRBUCH DER BIOLOGISCHEN HEILMITTEL BAND 1-11. (mediamed Verlag, Ravensburg, 1990).
  • Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC). Community herbal monograph on Plantago lanceolata L ., folium. EMA/HMPC/437858/2010 Corr. (2014).
  • BGA/BfArM (Kommission E). Plantaginis lanceolatae herba (Spitzwegerichkraut). Bundesanzeiger 223, (1985).
  • Kalbermatten, R. & Kalbermatten, H. Pflanzliche Urtinkturen. (AT Verlag, Aarau, Schweiz, 2014).
  • Kalbermatten, R. Wesen und Signatur der Heilpflanzen. (AT Verlag, Aarau, Schweiz, 2016).

Bilder: Ceres Heilmittel AG, Kesswil

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