KAMILLE

Matricaria chamomilla L

WESEN: Geborgenheit, Geduld, Sanftmut, Mütterlichkeit

Wesen und Signatur

 Signatur

«In den Kamillenblüten sehen wir das gleissende Licht des Hochsommers. Über dem trockenen, warmen Ackerboden haben die Lichtkräfte in ihr ihren Ausdruck gefunden. Der Blütenkranz ist blendend weiss, die aufgewölbte Blütenscheibe hellgelb glänzend. Die Blütenmitte fühlt sich fein an und hat eine glatte Oberfläche, so dass sie im Sonnenlicht einen starken Glanz ausstrahlt. Die Blätter sind sehr fein, zweifach fiederschnittig. Die einzelnen Abschnitte sind nur noch als Linien angedeutet. Wie Antennen oder wie feinfühlige Sinnesorgane richtet die Kamillenpflanze ihre Blattspitzen in alle Richtungen. Alles an ihr ist auf das Empfangen und Aufnehmen gerichtet. Eine hohe Sensibilität spricht aus ihrer Gestalt. Und doch ist die Kamille deswegen nicht hypernervös. Im Gegenteil, allerorts ist das dämpfende Prinzip, die Abfederung, am Werk. So sind die Blätter sehr weich, wie Federn. Am deutlichsten kommt das Prinzip der Dämpfung im gewölbten gelben Blütenboden zum Ausdruck. Im Verlaufe der Entwicklung wölbt er sich stark nachoben. In der Längsrichtung durchschnitten, gibt der zylindrische Blütenboden einen luftgefüllten Hohlraum frei. Wie durch ein Luftkissen dämpft die Blüte jegliche Heftigkeit ab. Das Blendende, Gleissende wird gemildert durch das sanft Dämpfende des luftgepolsterten Blütenbodens. Die Kamille hat ein tiefblaues ätherisches Öl, was eine Ausnahme ist; die ätherischen Öle sind meistens farblos oder gelblich. Doch das Öl ist nicht schon in der frischen Pflanze blau, sondern nimmt erst nach der Gewinnung durch die Wasserdampfdestillation diese Farbe an. Dabei wird ein blauer Stoff gebildet, der das Öl färbt. Das farblose, undifferenzierte ätherische Öl der Kamille wandelt sich in der Verbindung mit Wasser und Wärme zum Blauöl, das Sanftheit, Ruhe und mütterliche Geborgenheit ausstrahlt. Blau ist die Farbe des Ozeans, der Leben hervorbringt, und auch der Urmutter. Das farblose, undifferenzierte Wasser nimmt im strahlenden Sonnenlicht die tiefblaue Farbe des Ozeans an. Wesensverwandt sind die lateinischen Begriffe mare, mater und materia – und daran fügt sich die Matricaria, die Kamille, an. Der typische Geruch des Kamillenöls hat einen angenehm warmen, aber nicht feurigen Charakter. Die Kamille ist wohl der Inbegriff einer Heilpflanze. Ein von Bauchweh geplagtes Kind, die umsorgende Mutter, der warme Kamillentee – das gehört einfach zusammen. Es sind nicht nur die krampflösenden Wirkstoffe, die dem Kind so gut tun, das Kamillenwesen verstärkt zudem die mütterliche Zuwendung. Das Kind wird bei der Geburt aus der weichen, warmen, dunklen Geborgenheit des Mutterschosses hinausgestossen in eine harte, kalte und helle Welt. Das Neugeborene erfährt das Licht zuerst als einen blendenden Schmerz, doch nach und nach lernt es, sich am Licht zu orientieren, mit den Augen die Welt in sich aufzunehmen. Die Mutter umgibt das Kind mit der Weichheit und Wärme ihrer Geborgenheit, und sie begleitet es bei den ersten Entdeckungen im Licht der Welt, aber sie muss es immer wieder vor den extremen, gleissenden Sinneseindrücken behüten. Das Bedürfnis nach Wärme und Weichheit ist also geblieben, aber das Licht verliert langsam seine Bedrohlichkeit für den Säugling. Das Kind erwacht mehr und mehr im Verlangen nach dem weichen Schein des Lichts. Licht, Weichheit und Wärme begegnen uns in der wunderbaren Kamille.» 

Wesen

«Kamille vermittelt ein Gefühl mütterlicher Geborgenheit, indem sie eine übersteigerte innere oder äußere Sinnesempfindlichkeit dämpft und Krampfzustände durch milde Wärme löst. Bei einer gesteigerten Sinnesempfindlichkeit erscheinen Mitmenschen, Situationen und Umwelt sowie der eigene Körper in einem grellen, übertriebenen Bild. Dann fühlt man sich angreifbar und ungeborgen, man ist sehr schmerzempfindlich, reizbar und reagiert bei geringstem Anlass ärgerlich und ungeduldig. In diesen Situationen vermittelt die Kamille eine ruhevolle Sanftheit und lindert entzündliche und krampfartige Prozesse.»

Botanik

Die Kamille (Matricaria chamomilla L.) (Familie: Asteraceae, Korbblütengewächse), wird zwischen 10 – 80 cm gross. An ihrem festen Stängel sitzen die sehr feinen und stark fiederschnittigen Blätter der Pflanze, die fast bis auf die Blattadern reduziert sind. Das Blatt hat dadurch praktisch keine flächige Struktur mehr. In den Monaten Mai bis August erscheinen die Blütenköpfchen einzeln an den Stängelenden, sie haben einen Durchmesser von 1.5 – 2.5 cm. Der Blütenstand ist aus weissen Zungenblüten und gelben Röhrenblüten zusammengesetzt. Der Blütenboden ist anfangs flach, später stark gewölbt mit einem Hohlraum der sich dann in der Mitte bildet. Die oberirdischen Pflanzenteile der Echten Kamille, insbesondere die Blüten, entwickeln beim Zerreiben einen angenehm aromatischen, charakteristischen Geruch. Ursprünglich war die Art vermutlich im Mittelmeergebiet heimisch, heute ist sie in Mitteleuropa verbreitet und kommt auf Äckern, Brachen und an Wegrändern vor.

Verwendung

Die in ganz Europa verbreitete Kamille besitzt ein sehr breitgefächertes Anwendungsspektrum, insbesondere im Bereich der Kinderheilkunde. Die Varianten der Zubereitungsformen sind vielfältig: Tee, Gewinnung des ätherischen Öls, Fluidextraktion mit wässrig-alkoholischen Lösungsmitteln und medizinisch-kosmetische Produkte. Die Kamille verfügt über antibakterielle und wundheilungsfördernde Eigenschaften. Deshalb hat sich das Spülen und Gurgeln des Mund-Rachenraumes mit Kamillenzubereitungen bewährt, um die entzündeten Schleimhäute zu beruhigen. Die entzündungshemmenden Eigenschaften in Kombination mit der krampflösenden Wirkungsweise erklären, warum Matricaria chamomilla L. zu den Hauptmitteln bei Reizungen, Krämpfen und Koliken der Verdauungsorgane zählt. Entzündungen der Atmungsorgane können ebenfalls mitbehandelt werden. In der Frauenheilkunde zählen krampfartige und schmerzhafte Beschwerden der weiblichen Geschlechtsorgane zu den Hauptanwendungsgebieten. Bei Kindern sind Kamillenpräparate bei reizbaren Verstimmungen, Unruhezuständen, Schlafstörungen und Zahnungsbeschwerden angezeigt.

Inhaltsstoffe

Matricaria chamomilla L. enthält ätherisches Öl, welches sich unter anderem aus Sesquiterpenlactonen (z.B. Matricin) zusammensetzt. Das während der Wasserdampfdestillation entstehende Chamazulen gibt dem Kamillenöl seine besondere tiefblaue Farbe. Weitere typische Inhaltsstoffe sind u.a. Flavonoide, Phenolcarbonsäuren und Cumarine.

Referenzen

  • Hänsel, R. & Steinegger, E. Hänsel / Sticher Pharmakognosie Phytopharmazie. (Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft GmbH, Stuttgart, Deutschland, 2015).
  • Madaus, G. MADAUS LEHRBUCH DER BIOLOGISCHEN HEILMITTEL BAND 1-11. (mediamed Verlag, Ravensburg, 1990).
  • Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC). European Union herbal monograph on Matricaria recutita L., flos. EMA/HMPC/55843/2011 44, (2015).
  • BGA/BfArM (Kommission D). Chamomilla Recutita (Chamomilla). Bundesanzeiger 217a, (1985).
  • Kalbermatten, R. & Kalbermatten, H. Pflanzliche Urtinkturen. (AT Verlag, Aarau, Schweiz, 2014).
  • Kalbermatten, R. Wesen und Signatur der Heilpflanzen. (AT Verlag, Aarau, Schweiz, 2016).

Bilder: Ceres Heilmittel AG, Kesswil.

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