MEISTERWURZ

Peucedanum ostruthium (L.) 

WESEN: Selbstbewusstsein, Befreiung aus Einengung und Zwang

Wesen und Signatur

Signatur

«Auf einer Darstellung von Paracelsus sehen wir den grossen Arzt und Universalphilosophen des 16. Jahrhunderts mit einer Meisterwurzwurzel in der Hand. Es heisst, dass er immer eine solche Wurzel bei sich getragen habe. Für Paracelsus war die Meisterwurz eine der ganz grossen Heilpflanzen, und sie hatte damals und noch lange danach generell eine universelle Bedeutung. 

Der oberflächliche erste Eindruck ist eher ernüchternd. Wenn wir der Meisterwurz im Sommer in den Bergen begegnen, fallen uns an ihr keine besonderen Farben oder Formen auf. Dies erklärt sich aus ihrer botanischen Zugehörigkeit. Die Pflanze gehört zur Familie der Doldengewächse (Umbelliferae) mit ihren zahlreichen Vertretern, die für den Laien oft nur schwierig zu unterscheiden sind. Allen Arten dieser Familie ist der schirmförmige, meist weisse Blütenstand (z. B. Wiesenkerbel) gemeinsam. Es ist eine Pflanzenfamilie, die keine spektakulären äusseren Erscheinungen hervorbringt. Dennoch gehören zu ihr einige bedeutende Gewürz-, Heil-, und Giftpflanzen ebenso wie aromatische Nahrungspflanzen (Petersilie, Kümmel, Fenchel, Anis, Sellerie, Schierling usw.). Da die Blüten, wie gesagt, keine bemerkenswerten Kennzeichen tragen, muss man das Wesen der Doldengewächse vor allem an den Blättern verstehen lernen. Suchen wir dazu die Meisterwurz an ihrem natürlichen Standort auf. Wir finden diese typische Bergpflanze an nährstoffreichen, feuchten und oft steinigen Plätzen. Die Meisterwurz erkennen wir schnell am Glanz ihrer Blätter. Dieser ist nicht etwa besonders stark und auffällig, er ist edel und vermittelt den Eindruck von Kompaktheit. Die Blätter strahlen mit ihrem eigenen Glanz eine kraftvolle Selbstverständlichkeit aus. Auch viele andere Pflanzenkenner waren vom ersten Moment an vom Glanz dieser Blätter fasziniert und spürten die Kraft, die davon ausgeht. 

Wenn man diese Pflanze intuitiv ergründet, erkennt man eine Kraftwirkung, die am besten mit «nach oben ausweitend» umschrieben werden kann. Es ist eine Wirksamkeit, die einen deutlichen Bezug zum Brustkorb aufweist. Die Kräfte der Meisterwurz scheinen – auf der energetischen Ebene – den Brustkorb auszuweiten und gleichzeitig zu straffen. Früher gebrauchte man für eine Haltung, die Selbstbewusstsein zum Ausdruck bringt, die Formulierung «mit geschwellter Brust». Die analoge Form finden wir auch in den Blättern. Sie sind dreizählig mit drei gestielten Teilblättern. Die Teilblätter sind aufgerichtet und erinnern an eine nach oben halb geöffnete Hand, sie sind tief dreiteilig gespalten. Die einzelnen Teile (die gespaltenen) haben die für die Meisterwurz wesenseigene, nach oben ausgeweitete Form. Auch wenn man die Pflanze als Ganzes oder den Blütenstand kurz vor dem Aufblühen betrachtet, findet man immer wieder als charakteristisches Merkmal die Ausweitung nach oben. 

Folgende Begebenheit illustriert die grosse Macht dieser Pflanze. Unser Heilpflanzensammler, der die Wirkungen der Heil- und Giftpflanzen wie jeder echte Pflanzenkenner durch eigenes Probieren untersucht, hatte sich einmal beim Testen einer sehr giftigen Bergpflanze in der Dosierung stark verschätzt. Er ass ein Stück einer Wurzel von Cyclamen europaea und erlitt nach kurzer Zeit eine dramatische Wirkung; die Luftröhre begann rasch anzuschwellen und sich zu verengen, und die Atmung wurde bedrohlich erschwert. In höchster Not erinnerte er sich an die alten Berichte über die fantastischen Wirkungen der hoch geschätzten Meisterwurz. Im letzten Moment, schon dem Ersticken nahe, fand er eine Meisterwurz, grub die Wurzel aus und träufelte sich deren Saft in die Kehle. Bereits nach 1 Minute begann sich die Luftröhre zu weiten, und nach 10 Minuten hatte die Giftwirkung vollständig nachgelassen, und er konnte wieder frei atmen. 

Solche Ereignisse, die auch in der heutigen Zeit noch geschehen können, lassen erahnen, warum die Meisterwurz früher eine so grosse Bedeutung hatte. 

Wir erkennen an der Signatur der Meisterwurz die Kennzeichen von Macht und Selbstbewusstsein, die es nicht nötig haben, durch auffällige äussere Zeichen zu beeindrucken. Echte Kraft wirkt als Selbstverständlichkeit von innen. Eine solche innere Kraft ist der beste Garant für die Abwehr von schädlichen äusseren Einflüssen wie Giftwirkungen auf der körperlichen oder seelischen Ebene.»

Wesen

«Die Meisterwurz hat ein wahrhaft königliches Wesen. Sie symbolisiert ein Selbstbewusstsein, das andere nicht übergeht und auch im Mitmenschen die guten Eigenschaften hervorholen kann. Die innere Gewissheit ihrer Existenzberechtigung lässt sie anderen Menschen gegenüber wohlwollend und fördernd auftreten. Eine Aura von Glanz und Selbstverständlichkeit umgibt sie, bedrohliche Einflüsse prallen an ihr ab. 

Menschen, die aus Mangel an innerer Sicherheit leicht angreifbar sind, die dazu neigen, sich allerlei schädigenden Einflüssen zu öffnen, können sich mit Hilfe dieses Pflanzenwesens ihrer Situation bewusst werden. Imperatoria stärkt die innere Kraft: Ein Kraftstrom erfasst die Mitte des Menschen, steigt vom Magen auf, erweitert den Brustraum und richtet die Schultern auf. Imperatoria ist auch ein äußerst potentes Antidot gegen verschiedenste Giftwirkungen auf Körper und Seele.»

Botanik

Peucedanum ostruthium (L.) Koch, so der lateinische Name der Meisterwurz, hat ihren Namen «Imperatoria» also die Kaiserliche, aufgrund ihrer hohen Heilkraft erhalten. Die Pflanze gehört zur Familie der Doldenblütler (Apiaceae). Sie wächst in bergiger Lage auf feuchten Bergwiesen, Staudenfluren und an Bächen. Ihre quergeringelten, braunen Rhizome sind 2-3 cm dick und werden bis 10 cm lang. An diesen entstehen zahlreiche Seitentriebe und Ausläufer. Aus den unterirdischen Teilen bilden sich Stängel, die nur wenige, nach oben aufgerichtete, Laubblätter tragen. Diese sind 3zählig und weisen gestielte Teilblätter auf. Am Rand sind sie grob und unregelmässig gezähnt. Ab Juli blüht die Meisterwurz mit weissen oder rötlichen Blüten die zu 30-60 strahligen Dolden an den Enden der Stängel oder langen Stielen in den Blattachseln stehen. Die ganze Pflanze, vor allem die unterirdischen Teile, sind durch einen aromatisch würzigen Duft ausgezeichnet.

Verwendung

Die Meisterwurz, Imperatoria, findet in den medizinisch-botanischen Klassikern des Mittelalters eine sehr häufige Nennung: u.a. in den Werken von Paracelsus, Lonicerus und Hieronymus Bock. Die in den alten Kräuterbüchern gesammelten Angaben bilden vielfach den Ausgangspunkt für das bis in die heutige Zeit hinein überlieferte Heilpflanzenwissen. Bei einigen Arzneipflanzen wurden die traditionellen Angaben durch aktuelle, wissenschaftliche Forschungen validiert. Bei anderen liegt der Schwerpunkt nach wie vor auf den in der Volksheilkunde gemachten Erfahrungen. Das letztere gilt auch für die Meisterwurz, die in der traditionellen alpenländischen Naturheilkunde einen sehr hohen Stellenwert besitzt. Imperatoria gilt dabei in erster Linie als stärkendes und reinigendes Universalmittel. Laut Madaus werden dieser Heilpflanze diuretische und diaphoretische Wirkungen zugesprochen. Der Einsatz erfolgte als Begleitmittel bei nachfolgenden Indikationen: bei Schleim und Stauungen, Bronchialkatarrh, und als Stomachikum (bei Blähungen, Diarrhöe und Magenkrämpfen). Des Weiteren wurde sie als Antidot bei Vergiftungserscheinungen eingesetzt. 

Inhaltsstoffe

Die Meisterwurz, Imperatoria bzw. Peucedanum ostruthium (L.) W.D.J. KOCH., enthält ätherisches Öl und Cumarinderivate, unter anderem Archangelicin.

Referenzen

  • Hänsel, R. & Steinegger, E. Hänsel / Sticher Pharmakognosie Phytopharmazie. (Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft GmbH, Stuttgart, Deutschland, 2015).
  • Madaus, G. MADAUS LEHRBUCH DER BIOLOGISCHEN HEILMITTEL BAND 1-11. (mediamed Verlag, Ravensburg, 1990).
  • Kalbermatten, R. & Kalbermatten, H. Pflanzliche Urtinkturen. (AT Verlag, Aarau, Schweiz, 2014).
  • Kalbermatten, R. Wesen und Signatur der Heilpflanzen. (AT Verlag, Aarau, Schweiz, 2016).

Bilder: Ceres Heilmittel AG, Kesswil.

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