



MELISSE
Melissa officinalis L.
WESEN: Besänftigung, Weichheit, Milde
Wesen und Signatur
Signatur
«Die Zitronenmelisse ist eine der geschätztesten Heilpflanzen. Sie hat eine völlig milde, sanfte Wirkungsart und ist nie aggressiv. Sie kann problemlos – auch über längere Zeit – eingenommen werden und tut wohl jedem Menschen einmal gut. Ihre Blätter breiten sich in die Horizontale aus; es gehört zu ihrem Wesen, etwas Darunterliegendes sanft zu bedecken. Eine Reihe von Melissenpflanzen im Garten bildet allmählich ein Gewölbe. Auch die Blätter bestehen aus vielen kleinen Wölbungen, die sich zwischen dem dichten Netzwerk der ausgeprägten Nerven aufspannen. Es sind sanfte Wölbungen, wie von einer Hand, die in liebkosender Bewegung über Haare und Gesicht eines geliebten Menschen streift. Die Melisse zeigt nicht ein zugespitztes Streben nach oben, mit der Entwicklung einer Spannkraft zwischen unten und oben. Nein, sie scheint wie frei schwebend zwischen Himmel und Erde aufgespannt. Die Melisse hat sich von allen Pflanzen den Erdkräften am meisten entzogen. Wenn wir einen dichten Melissenbestand mit dem Handrücken streifen, entsteht ein Gefühl und auch ein Geräusch, das ein bisschen an trockenhäutige Blätter erinnert. Die Konsistenz der Pflanze hat etwas Derbes, das man ihr zuerst gar nicht zutraut. Ich war immer wieder überrascht von der Festigkeit frischer Melisse bei der Verarbeitung. Gefühlsmässig empfindet man die Pflanze als weich und zart und ist dann erstaunt über die Zähigkeit ihrer Blätter. Bei näherer Untersuchung stellt man fest, dass das Wesen der Leichtigkeit und Zartheit eben nicht bis in die Substanz hineingedrungen ist. Denn gerade die Festigkeit der Struktur führt dazu, dass die Melisse dieses Tragende und Schwebende zum Ausdruck bringen kann.
Streifen wir mit der Hand über frische Melisse, entfaltet sich ein zarter, lieblicher, zitronenartiger Duft. Der Gehalt an diesem wohlriechenden ätherischen Öl ist sehr gering. Ätherisches Melissenöl ist aufgrund der grossen Pflanzenmenge, die zu seiner Gewinnung erforderlich wäre, unbezahlbar. Was als «Melissenöl» feilgeboten wird, ist meistens aus dem ähnlich duftenden indischen Citronellgras gewonnen.
Das ätherische Öl der Melisse ist sehr flüchtig und instabil. Ein halbes Jahr nach der Ernte ist schon bis zu 60% des Gehalts verloren. Melissentee, der über ein Jahr alt ist, hat praktisch kein Zitronenaroma mehr, und nach zwei Jahren ist er ohne Geschmack.
Ganz anders gibt sich eine Tinktur aus frischer Melisse, die nach einem wesenerhaltenden Verfahren hergestellt wurde. Eine gewisse Zeit lang ist der zitronenartige Geruch noch vorhanden, doch später, nach einigen Jahren der Reifung, entwickelt sich ein wunderbar tragender Duft. Wer schon die Gelegenheit hatte, Lagerhäuser von verschiedenen, grossen Drogenimporteuren zu besuchen, wird festgestellt haben, dass sie alle ähnlich typisch riechen. Gemeint ist ein Geruch, bei dem nicht eine einzelne, stark riechende Droge dominiert. Die Summe vieler Heilpflanzen ergibt einen wunderbar tragenden Geruch. Genauso riecht eine gereifte wesenhafte Mellissenurtinktur.»
Wesen
«Man könnte die Zitronenmelisse als Essenz aus der Summe vieler Heilpflanzen bezeichnen. Das Individuelle, das eine bestimmte Heilpflanze auszeichnet und das in der Therapie eigentlich erwünscht ist, hat sich bei der Melisse weitgehend verflüchtigt. Zurückgeblieben ist ein unglaublich sanftes, allheilendes Wesen. Die Melisse ist eine Heilpflanze, die uns mit tiefer Dankbarkeit und Ruhe erfüllt. Ihr Wesen entspricht einer sanften, liebkosenden Berührung, es schenkt entspannte Ruhe, wenn Nervosität und Anspannung zu Magen-Darm-Störungen oder Herzbeschwerden führen.
Die Melisse gehört zum Menschen, der wie die «Prinzessin auf der Erbse» die kleinsten Unannehmlichkeiten des Lebens als hart und störend empfindet. Ein großes Harmoniebedürfnis zeichnet ihn aus. Er liebt alles Schöne, Zarte, Ebenmäßige, Liebliche. Bereits kleine Unpässlichkeiten trüben sein Lebensgefühl, und er braucht viel Zuwendung. Die Melisse wendet sich ihm zu, sie versinnbildlicht das helfende Prinzip. Einschlafschwierigkeiten, Verdauungsprobleme, nervöse Unruhe und leichte Herzbeschwerden – dort wo das Harmoniebedürfnis gestört ist – werden mit Melisse erfolgreich behandelt.»
Botanik
Die Zitronenmelisse, mit botanischem Namen Melissa officinalis L., ist eine Pflanze aus der Familie der Lippenblütler (Lamiaceae). Ihre Familienzugehörigkeit lässt sich bereits durch den wunderbaren harmonischen und intensiv zitronigen Duft erahnen, den sie bereitwillig abgibt, wenn man sie nur sanft berührt. Ein intensives Aroma ist typisch für viele Pflanzen aus der Familie. Sie stammt eigentlich aus dem Mittelmeergebiet oder Westasien, ist aber mit den Benediktinermönchen zu uns nach Mitteleuropa gelangt. Sie wird bis etwa 80 bis 100 cm hoch und ihr vierkantiger, dünner, dabei aber sehr zäher Stängel trägt die ei- bis herzförmigen und kreuzgegenständigen Blätter der Pflanze. Die Blätter sind am Rande gezahnt und in ihrer Form insgesamt leicht gewölbt. Ihre kräftigen Blattadern sind auf der Oberseite tief eingesenkt und treten daher auf der Unterseite stark hervor. Die Blätter tragen kleine Drüsen, am Stängel finden sich Drüsenhaare, welche beim Verreiben bereitwillig einen starken und harmonischen Zitronengeruch abgeben. Selbst ein einfaches Streichen über die Pflanzen reicht aus, um den flüchtigen Duft zu entfalten, er scheint kaum festgehalten zu werden. Aus den gelben Knospen, die in den Blattachseln stehen, entwickeln sich ab Juni bis in den August hinein, die weissen oder bleichvioletten unscheinbaren Blüten der Pflanze. Diese sind klar in Ober- und Unterlippe geteilt, wie es für eine Pflanze der Familie typisch ist. Die frostempfindliche Melisse wächst besonders gut auf warmen, sonnigen und nährstoffreichen Standorten.
Verwendung
Bei Melissa officinalis L. handelt es sich um eine aus dem Orient stammende Gewürz- und Heilpflanze mit langer Tradition. Ähnlich wie der Lavendel wird die Melisse nervenstärkend, beruhigend, krampflösend und als Karminativum zur Behandlung von leichten Verdauungsstörungen eingesetzt. Volksheilkundlich und in der Homöopathie gehören des Weiteren Regelstörungen zu den Anwendungsgebieten der Melisse. Des Weiteren ist die antivirale Wirkung der Melisse bei Herpes labialis bekannt und mittels Studien untersucht. Getrocknete Melissenblätter sind ein sehr beliebter Anteil von Teegemischen. Der frisch zitronenartige blumige Duft kommt jedoch nur in Frischpflanze am deutlichsten zur Geltung und kann in der Droge nach einer gewissen Zeit verschwinden, da der Gehalt an ätherischem Öl eher gering ist. Echtes Melissenöl gehört daher nebst dem Rosenöl zu den teuersten ätherischen Ölen überhaupt und bei den erhältlichen Produkten handelt es sich häufig um Verdünnungen in Trägeröl oder Lösungen anderer ätherischer Öle (z.B. Citronell / Zitronengras). Beim «Melissengeist» handelt es sich um ein Destillat aus Melissenblättern und anderen Pflanzen.
Inhaltsstoffe
Der frische, zitronenartige Geruch der Melisse, Melissa officinalis L., weist darauf hin, dass ätherisches Öl enthalten ist. Dieses setzt sich vor allem aus Citral und Citronellal zusammen. Darüber hinaus sind Phenolcarbonsäuren wie die Rosmarinsäure enthalten.
Referenzen
- Hänsel, R. & Steinegger, E. Hänsel / Sticher Pharmakognosie Phytopharmazie. (Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft GmbH, Stuttgart, Deutschland, 2015).
- Monographie BGA/BfArM (Kommission E). Melissae folium (Melissenblätter). Bundesanzeiger 228, (1984).
- Madaus, G. MADAUS LEHRBUCH DER BIOLOGISCHEN HEILMITTEL BAND 1-11. (mediamed Verlag, Ravensburg, 1990).
- BGA/BfArM (Kommission D). Melissa officinalis. Bundesanzeiger 172 a, (1988).
- Kalbermatten, R. & Kalbermatten, H. Pflanzliche Urtinkturen. (AT Verlag, Aarau, Schweiz, 2018).
- Kalbermatten, R. Wesen und Signatur der Heilpflanzen. (AT Verlag, Aarau, Schweiz, 2016).
Bilder: Ceres Heilmittel AG, Kesswil.