

STEINKLEE
Melilotus officinalis (L.) LAM
WESEN: Erweichen, lösen, beruhigen, erwärmen
Wesen und Signatur
Signatur
«Der Steinklee gehört zur Familie der Leguminosen (Schmetterlingsblütler) und kommt an trockenen, steinigen Standorten wie Kiesgruben, Schuttplätzen und Wegrändern vor. Er wird bis zu 90 cm hoch. Die Blätter sind dreizählig zusammengesetzt, und die kleinen gelben Blüten stehen zu 30 bis 70 in Trauben. Der Steinklee macht in seiner Gesamtgestalt einen äusserst aufgelösten Eindruck: die unzähligen kleinen Blüten, die ausserdem rasch ihre gelbe Farbe verlieren und verblassen, die unzähligen kleinen Blätter und die stark verzweigten Stengel. Gewiss gibt es auch viele andere Pflanzen mit sehr kleinen Blüten, aber dann ist die ganze Pflanze klein. Oder es gibt andere Pflanzen, die sehr viele Blätter und Blüten haben, aber dann ist die ganze Pflanze gross, wie beispielsweise Bäume. Es gibt kaum andere Pflanzen, die eine recht stattliche Grösse erreichten und doch so kleine Blüten und so viele Blätter haben. Ein weiteres Zeichen der Auflösung ist die bemerkenswerte Tatsache, dass der Steinklee im zweiten Jahr kleinere Blätter als im ersten Jahr macht und dass die Blüten kurz nach dem Erblühen ihren gelben Farbstoff auflösen und verblassen.
Um aber das wichtigste Kennzeichen des auflösenden Wesens erklären zu können, müssen einige Kenntnisse über die chemischen Inhaltsstoffe des Steinklees vermittelt werden. Die Pflanze hat einen hohen Gehalt an Cumarin und dessen Glykosid. Cumarine sind flüchtige Stoffe mit intensivem Geruch. Es sind zum Beispiel Cumarine, die den typischen Geruch von frischem Heu bewirken. Nun wissen wir alle, dass Heu ganz anders als frisches Gras riecht. Dies lässt auf einen chemischen Umwandlungsprozess während des Trocknens schliessen. Es handelt sich dabei um die Bildung der riechenden Cumarine aus einer geruchlosen Vorstufe, den Cumaringlykosiden. Dabei handelt es sich um Verbindungen, die aus einem Cumarinmolekül und einem Zuckermolekül zusammengesetzt sind. Beim Verwelkungsprozess werden Enzyme (Glykosidasen) freigesetzt, die den Zucker aus den Cumaringlykosiden abspalten und das Cumarin freisetzen. Diese Abspaltung ist also eine teilweise chemische Auflösung. Die meisten Pflanzen, die Cumaringlykoside enthalten, wie die Gräser, riechen im frischen Zustand überhaupt nicht nach Cumarin, enthalten also kein freies Cumarin, sondern nur dessen geruchloses Glykosid.
Ganz anders verhält es sich beim Steinklee. Diese Pflanze hat bereits im frischen Stadium einen intensiven Geruch nach Cumarin (nach frischem Heu). Das heisst, der Auflösungsprozess, der normalerweise erst beim Welken einsetzt, ergreift diese Pflanze bereits im Blütenstadium. Zu erwähnen ist auch, dass Cumarin an sich schon eine Substanz ist, die das Prinzip des Lösens verkörpert. Cumarin erniedrigt die Blutviskosität, es verflüssigt das Blut. Die wichtigsten Medikamente zur Blütverdünnung, die etwa nach Embolien ärztlich verordnet werden, sind chemische Derivate aus Cumarin. Wir sehen also, dass der Steinklee durch einen Auflösungsprozess bereits im frischen Stadium eine Substanz bildet, die eine lösende Wirkung besitzt. Dies ist, wie gesagt, eine Ausnahme und damit ein sehr starker Hinweis auf die bereits mehrfach erwähnte Wesenskraft dieser Pflanze.»
Wesen
«Der Steinklee entwickelt einen kräftigen Duft nach frischem Heu, gemischt mit einer leichten Honignote. In dieser Komposition offenbart sich die Pflanze sehr direkt und unverhüllt. Im Bann ihres Duftes fühlen wir uns wohlig entspannt und angenehm beruhigt.
Erinnern wir uns an einen heißen, schwülen Sommertag! Der Atem geht schwer, jede Bewegung ist anstrengend in der Hitze, wir fühlen uns matt und energielos, es liegt Spannung in der Luft, die Atmosphäre ist «elektrisch». Dann bricht ein reinigendes Sommergewitter herein, und kurz darauf breitet sich eine erlösende Entspannung aus, wir können wiederfrei atmen. Die Luft riecht frisch und rein, die Atmosphäre hat sich entladen, die Temperatur ist wieder angenehm. Dieses und ähnliche Bilder lässt der Steinklee aufkommen; es ist die ins Bild übersetzte Wirkung der Pflanze.
Der Steinklee hat ein lösendes Wesen, er lässt die trägen, verlangsamten Lebenssäfte wieder fließen. Wenn Verklumpungs- und Stautendenzen in Seele und Körper auftreten, wirkt Steinklee erweichend und auflösend. Er hat eine spezifische Wirkung auf die Blutviskosität und verbessert, verflüssigt gewissermaßen durch ungesunde Lebensweise verdicktes Blut. Durch seine lösende Kraft wirkt der Steinklee auch entspannend und beruhigend.»
Botanik
Der Gewöhnliche Steinklee, Melilotus officinalis (L.) LAM, ist eine zweijährige bis zu 200 cm hoch werdende Pflanze. Er gehört zur Familie der Schmetterlingsblütler (Fabaceae). Aus einer verzweigten Pfahlwurzel wachsen im zweiten Jahr viele aufrechte, kantige und derbe Stängel. Die Blätter der Pflanze sind dreizählig. Ihre Teilblätter sind breit-lanzettlich bis verkehrt-eiförmig und am Rande gesägt. Die Blätter sind relativ klein im Verhältnis zur Gesamtgrösse der Pflanze. Betrachtet man einen Gewöhnlichen Steinklee aus der Distanz, nimmt man sie gar nicht so recht wahr, denn die kleinen Blätter stehen auch nur zerstreut an der Pflanze. Im zweiten Standjahr blüht der Steinklee zwischen Mai und September mit kleinen, gelben, später oft rasch verblassenden Blüten. Diese stehen achselständig in 4 bis 10 cm langen Trauben und sind sehr zahlreich. Je Traube sind 30 bis 70 Blüten vorhanden. Die Blüten selbst haben die typische Form einer Schmetterlingsblüte und bestehen aus den drei Teilen Fahne, Flügel und Schiffchen. Da die Blüten einer Traube nach und nach Aufblühen finden sich so während der Blütezeit die drei Stadien Knospen, offene Blüten und heranreifende Früchte gemeinsam an einer Traube. Auffallend beim Gewöhnlichen Steinklee ist der intensive Duft, den er verströmt. Wir kennen den Geruch von Waldmeister und frisch geschnittenem Gras, wenn sie trocknen, es ist der Duft nach Cumarin.
Verwendung
Der Steinklee, Melilotus officinalis (L.) LAM, ist wie die Rosskastanie (Aesculus hippocastanum) eine bekannte Venenpflanze, die nicht nur innerlich, sondern auch äußerliche in Form von Salben und Suppositorien bei Beschwerden der chronisch venösen Insuffizienz angewendet wird. Der Pflanze wird durch Förderung des venösen Rückflusses und verbesserter Lymphkinetik eine antiödematöse, und wundheilungsfördernde Wirkung zugeschrieben. Zu den Anwendungsgebieten gehören Krampfaderleiden, Schwellungen, Schmerzen und Schweregefühl in den Beinen, Hämorrhoiden, sowie Prellungen, Verstauchungen und oberflächliche Blutergüsse. Verdorbener Steinklee im Heu führt, an Tiere verfüttert, zu schwerer Blutungsneigung. Verantwortlich dafür ist, wie man später herausgefunden hat, die Bildung von Dicumarol durch Schimmelpilzbefall. Die Entdeckung dieses (im Steinklee nativ nicht vorhandenen) Stoffes, führte zu der Entwicklung der heutigen synthetische Vitamin-K-Antagonisten deren blutgerinnende Effekte in der Medizin und auch in Rhodentiziden genutzt wird.
Inhaltsstoffe
Der Steinklee, Melilotus officinalis (L.) LAM, riecht charakteristisch nach frischem Heu. Verantwortlich hierfür sind verschiedene Cumarine wie das Melilotin. Darüber hinaus findet man phenolische Säuren (z.B. Cumarsäure, Melilotosid), Flavonoide und Triterpensaponine, wie z.B. das Melilotigenin.
Referenzen
- Hänsel, R. & Steinegger, E. Hänsel / Sticher Pharmakognosie Phytopharmazie. (Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft GmbH, Stuttgart, Deutschland, 2015).
- BGA/BfArM (Kommission E). Meliloti herba (Steinkleekraut). Bundesanzeiger 50, (1986).
- Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC). Assessment report on Melilotus officinalis ( L .) Lam ., herba. EMA/HMPC/44165/2016 (2017).
- BGA/BfArM (Kommission D). Melilotus officinalis. Bundesanzeiger 29 a, (1986).
- Stahmann, M. A., Huebner, C. F. & Link, K. P. Studies on the Hemorrhagic Sweet Clover Disease. J Biol Chem 138, 513–527 (1941).
- Bye, A. & King, H. K. The Biosynthesis of 4-Hydroxycoumarin and Dicoumarol by Aspergillus fumigatus Fresenius. Biochem J 117, 237–245 (1970).
- Kalbermatten, R. & Kalbermatten, H. Pflanzliche Urtinkturen. (AT Verlag, Aarau, Schweiz, 2018).
- Kalbermatten, R. Wesen und Signatur der Heilpflanzen. (AT Verlag, Aarau, Schweiz, 2016).
Bilder: Ceres Heilmittel AG, Kesswil